Am 23. Mai brachte uns eine Studienkollegin eine junge Blaumeise vorbei – die war wohl kürzlich aus dem Nest gesprungen und ein ganz frischer sogenannter Ästling – ein Jungvogel, der noch nicht fliegen kann, von seinen Eltern gefüttert wird, aber nicht mehr im Nest sitzen mag. Anstatt sich ordnungsgemäß in ein Gebüsch zu setzen, saß jener kleiner Vogel aufgrund von Gebüschmangel in der Großstadt mitten in (!) einer Straßenbahnschiene. Da es an der stark befahrenen Straße keinen sicheren Platz gab, um die Blaumeise beiseite zu setzen und keine Eltern in Sicht waren, kam der Vogel also zu uns.
Der Appetit war direkt nach Ankunft gewaltig, das war schon mal ein gutes Zeichen; doch je aktiver das Meischen wurde, desto mehr zeigte sich eine gewisse Körperschieflage, ja, das eine Beinchen wurde geschont und eine Zehe war im vordersten Glied gebrochen. Sie hatte also irgendeinen Aufprall erlitten, es sah nicht so gut aus. Also wurde die Blaumeise nicht nur ab dem Morgengrauen (was Ende Mai sehr früh ist…) gefüttert, sondern auch noch medizinisch versorgt. Als besonderes Sorgenkind gaben wir den Jungvogel nicht sofort in eine Blaumeisen-Gruppe, wie es sich bei Vögeln eigentlich gehört. Auf Ästen konnte die Meise noch nicht sitzen, also ab ins Ersatznest.
Die Blaumeise begann innerhalb weniger Tage zu fliegen und sein Beinchen war nach kräftigem Einschmieren auch wieder gut, ein wahrer Erfolg! Es ist so schön, mitanzuschauen, wie ein Vogelkind das Fliegen lernt und sich überhaupt vom „langweiligen Nesthocker“ zum hyperaktiven Kind wandelt, das alle seine neuen Fähigkeiten ausprobieren will.
Auch geputzt wird sich schon wie ein großer Vogel, denn die letzten Federkielreste jucken schlimm!
Doch ach, kurz weilte die Freude! Die Blaumeise machte bei ihren Flugübungen im Vogelzimmer immer wieder Bruchlandungen und sich wie besessen im Kreis drehte – das Zeichen eines bösen Schädelhirntraumas, das die Blaumeise sich wohl bei ihrem Unfall, bei dem sie sich auch Bein und Zehe verletzt hatte, wohl auch noch zugezogen hat. Guter Rat war teuer – mit verschiedenen Vitaminen und Medikamenten behandelt, suchten wir einen Platz in einer Außenvoliere bei jemandem, der auch Vögel mit Behinderung aufnahm. Ja, und wen fanden wir? Die Petra!
So gab es gleich ein doppeltes Happy End: Wir lernten die Petra kennen und schätzen und die Gesellschaft anderer Meisen tat dem Hirn der Blaumeise so gut, dass sie sich ganz von Ihrer Behinderung erholte und erfolgreich ausgewildert werden konnte! 🙂