Unter Prägung versteht man in der Verhaltensbiologie eine irreversible Form des Lernens. Prägung passiert in vielen verschiedenen Bereichen, die für das spätere Leben und Überleben von Wildtieren essenziell sind. Es werden zwei Prägungsformen unterschieden: Objektprägung und motorische Prägung. Bei der Objektprägung wird das Tier auf ein bestimmtes Objekt geprägt, z.B. auf seine Artgenossen. Bei der motorischen Prägung ist unter anderem die Prägung auf Bewegungsabfolgen ein Thema. Bei manchen Vogelarten ist diese für das Erlernen des arttypischen Gesangs wichtig. Weiteres spielen sexuelle Prägung, Ortsprägung (Biotop-Prägung) und Nahrungsprägung eine große Rolle.
Wie kommt es zu Fehlprägung?
Die Wissenschaft ist sich noch nicht bei allen Tieren einig, wann die Prägung in den einzelnen Bereichen stattfindet. Deswegen ist es wichtig, Wildtiere von Beginn an in sozialen Verbänden und unter möglichst natürlichen und artgerechten Umständen aufzuziehen. Haben die Tiere in dieser sensiblen Phase der Prägung nur Kontakt mit Menschen und wachsen unter unnatürlichen Umständen auf, zeigen sie später falsches Verhalten, sodass eine Auswilderung unmöglich gemacht wird. Innerhalb dieser sensiblen Phase werden Reize der Umwelt derart dauerhaft ins Verhaltensrepertoire aufgenommen, dass sie später wie angeboren erscheinen.
Wo Fehlprägung zum Problem wird
Zahme Eichhörnchen, die sich um den Hals des Pflegers kuscheln, oder Krähen, die es sich auf den Köpfen ihrer Ersatzeltern bequem machen, wirken im ersten Moment niedlich, stellen jedoch auch ein großes Problem dar, das auch im Ziervogelbereich bereits erkannt wurde. Vor allem früher (heute ist dies per Gesetz verboten) war es bei manchen Papageienzüchtern üblich, die Küken ihren Eltern wegzunehmen um die Tiere dann per Hand aufzuziehen, damit diese zutraulich werden. Solange die Tiere jugendlich sind, haben die späteren Besitzer ihre Freude mit diesen fehlgeprägten Papageien. Mit Eintreten in die Geschlechtsreife, beginnen aber auch die Probleme: Da die Tiere auf den Menschen geprägt wurden, erkennen sie diesen auch als Sexualpartner – und damit auch Konkurrenten. Die Tiere haben zwar keine Scheu vor der Menschenhand, aber auch keinerlei Hemmungen diese anzugreifen, wie sie es bei innerartliche Konkurrenten tun würden.
Dieses Phänomen zeigt sich auch bei fehlgeprägtem Wildtier – einige Arten sind dafür anfälliger als andere – vor allem bei Rabenartigen kommt es schnell zu einer solchen Fehlprägung. Immer wieder werden Wildtierstationen wegen Krähen kontaktiert, die wahllos auf Menschen landeten und mit diesen spielen wollten; oft endet dies damit, dass die Menschen aus Angst das Tier töten oder verletzen.
Häufig werden Wildtiere ungewollt auf ihre Fressfeinde geprägt, indem sie Kontakt zur Katze oder dem Hund haben. Werden die Tiere dann ausgewildert und treffen auf einen potentiellen Feind, erkennen sie diesen fälschlicherweise als Freund und begeben sich damit in große Gefahr. Aus diesem Grund sollten Wildtiere keinesfalls Kontakt zu potentiellen Feinden wie Hunden und Katzen haben. Sie lernen dadurch, dass von diesen Tieren keine Gefahr ausgeht und verlieren so eine überlebenswichtige Strategie für die Freiheit.
Auch Fehlprägung auf artuntypische Nahrung ist möglich. Werden Tiere auf falsche Nahrung geprägt, können sie sich in freier Wildbahn niemals selbst ernähren oder nehmen unverträgliche Kost zu sich. Sie verhungern oder sterben aufgrund der Verdauungsprobleme.
Viele Vögel müssen erst den arttypischen Gesang und Kontaktrufe erlernen. Passiert dies nicht, sind sie später nicht mehr in der Lage mit ihresgleichen zu kommunizieren. Auch Wildschweine erlernen den „Dialekt“ ihrer Gruppe – geschieht das nicht, endet eine Rückführung in die Natur mit dem Tod – die Tiere werden von Artgenossen angegriffen.
Bei größeren Tieren wie Rehböcken oder Wildschweinen kann eine Fehlprägung auch für den Menschen gefährlich werden. Werden beispielsweise Rehböcke bei Eintreten der Geschlechtsreife den Menschen gegenüber aggressiv, kann es durch das arttypische Konkurrenzverhalten zu schweren Verletzungen kommen.
Je nach Grad der Fehlprägung ist es sehr schwer bis unmöglich diese rückgängig zu machen. Ein endgültig fehlgeprägtes Tier kann nicht mehr in die Natur zurückgeführt werden. Sie teilen das Schicksal behinderter Tiere, da sie in ihrem Verhalten behindert sind. Das Leben in Gefangenschaft oder eine Euthanasie sind oft die einzigen Möglichkeiten.
Wie kann man Fehlprägung verhindern?
Einer der Grundsäulen der professionellen Wildtierpflege ist das Verhindern von Fehlprägung. Die Rückführung und das Überleben eines Wildtieres in sein natürliches Habitat sollte immer oberstes Ziel sein. Eine absichtliche Fehlprägung von Tieren ist daher in Österreich laut Tierschutzgesetz verboten. Auch die Privathaltung von Wildtieren (weil diese nach einer falschen Aufzucht nicht mehr ausgewildert werden können) ist ohne Sondergenehmigung nicht gestattet.
Eine Aufzucht einzelner Tiere, ganz gleich ob Vogel oder Säugetier, kommt daher nicht in Frage. Die Gesellschaft von zumindest einem Artgenossen sollte daher Grundvoraussetzung sein. Die bloße Anwesenheit von Nestgeschwistern hilft bereits, Fehlprägung zu verhindern, da sie einander sehen und miteinander „sprechen“ können. Gemeinsam entwickeln sie ein Bewusstsein dafür wer und was sie sind. In Zusammenarbeit mit anderen Wildtierauffangstationen und Tierheimen kann gewährleistet werden, dass kein Tier alleine aufwachsen muss.
Am besten auf das Leben in freier Wildbahn werden die Jungtiere allerdings zweifelsfrei von ihren Eltern vorbereitet. Von ihnen lernen sie alles, was sie zum Überleben brauchen. Gibt es keine Eltern, die ihre Jungen aufziehen, so ist es in manchen Fällen möglich die Jungtiere von Ammentieren aufziehen zu lassen – großartige Erfolge verzeichnet bereits die Eulen- und Greifvogelstation Haringsee. Elternlose Jungtiere werden dort von behinderten Dauerpfleglingen großgezogen. Behinderten Tieren kommt so eine wichtige Aufgabe zu, die sie sinnvoll beschäftigt, und die Küken bekommen die bestmögliche Sozialisierung und erlernen alles was sie für ein Leben in Freiheit brauchen.
Auch wenn sich eine reine Ammenaufzucht noch nicht bei allen Wildtierschützlingen bewährt hat, versuchen wir, wann immer möglich, Tiere mit unterschiedlichsten Entwicklungsstufen zusammenzuführen. Auch das Dazusetzen von erwachsenen Pfleglingen in Jugendgruppen kann bei manchen Tieren eine gute Lösung darstellen. So lernen die Tiere von einander ohne dass eine Fehlprägung auf den Menschen stattfindet.
Handaufgezogene Wildtiere dürfen auch nicht zu schnell und ohne Zwischenstation in einer naturnahen Auswilderungsvoliere in die Freiheit entlassen werden. Sind unsere Schützlinge futterfest, so kommen sie in Außenvolieren in denen sie in der Regel noch mindestens zwei Wochen betreut werden. Dort wird der Kontakt zum Menschen auf ein Minimum reduziert, die Tiere können erste Kontakte zu wildlebenden Artgenossen knüpfen und so beispielsweiße Warnrufe erlernen. Auch das Futterangebot und die Einrichtung dieser Voliere soll möglichst habitatsnah sein. Erst, wenn die Tiere zu 100% selbstständig sind, können sie in die Freiheit entlassen werden.
Nur wenn all diese Punkte beachtet werden, haben handaufgezogene Wildtiere eine Chance auf ein Überleben in Freiheit. Deswegen hier noch einmal die Bitte an jeden, der ein elternloses Jungtier findet: Wir verstehen, dass diese Tiere verführerisch lieb anzusehen sind, doch bei der Aufzucht kann aufgrund mangelnder Kenntnis der Biologie des jeweiligen Tieres – angefangen bei falscher Fütterung, bis hin zu irreparablen Verhaltensschäden – vieles schief gehen.
Versuchen Sie bitte nicht, die Tiere in Eigenregie aufzuziehen, sondern wenden Sie sich an uns oder Tierheime in Ihrer Umgebung.
Quellen:
- MUNK K (2011): Taschenlehrbuch Biologie – Zoologie (1. Auflage). Stuttgart: Georg Theme Verlag KG.
- http://www.wildvogelhilfe.org, Stand: 27.04.2014
Bildquelle:
- http://www.wildvogelhilfe.org/aufzucht/fotos/zutrauliche-nebelkraehe01.jpg, Stand: 27.04.2014