Die Aufzucht von Wildtieren ist ein wunderschönes Erlebnis, das jedoch neben Tierliebe auch ein großes Fachwissen benötigt. Nur wer über die Biologie seiner Schützlinge Bescheid weiß, sich an der natürlichen Lebensweise orientiert, Sozialverhalten berücksichtigt und ein artgerechtes sowie vielfältiges Futterangebot bereitstellt, hat die Chance die Tiere optimal auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten. Die Gefahr, aus Unwissenheit grobe Fehler in der Aufzucht zu begehen, ist leider groß. Die Leidtragenden sind die Tiere, nicht selten bezahlen sie mit ihrem Leben.
Richtige Artbestimmung ist überlebenswichtig
Gefiederschäden bei einem Mauersegler durch Fütterung mit Hundefutter
Nicht jede Vogelart gleich sich in ihrer Ernährungsweise. Greifvögel benötigen anderes Futter als Wassergeflügel oder Singvögel. Mauersegler sind Nahrungsspezialisten und schon die kleinsten Gefiederschäden haben für diese Vögel gravierende Folgen. Aber selbst innerhalb der Familie der Singvögel heißt es Insekten, Körner und Weichfresser zu unterscheiden. Einige Arten, wie Grünfinken oder Stieglitze, sind fast reine Vegetarier und brauchen – im Gegensatz zu reinen Insektenfressern – keine insektenreiche Kost. Daher müssen schon frisch geschlüpfte und noch nackte Jungtiere zielsicher bestimmt werden. Schnabelform, die Farbe des Rachens oder der Schnabelwülste können Hinweise darüber geben, um welche Vogelart es sich handelt. Dennoch ist die Bestimmung für Laien oft nicht einfach.
Schäden an Gefiedern und der Knochenstruktur sind vorprogrammiert
Weiße Federn durch Mangelernährung
Im schlimmsten Fall endet die falsche Ernährung von Vogel-Findlingen tödlich. Beispielsweiße können Milchprodukte oder Brot nicht verdaut werden und führen zu schlimmen Verstopfungen von Kropf oder Darm. Aber auch bei Futterangebot, dass die Tiere nicht tötet oder sogar von ihnen gut vertragen wird, muss man einiges beachten. Wird zu einseitig gefüttert, oder Nährstoffarm, kann es zu schweren Schäden des Gefieders kommen. Federn werden spröde und brechen ab. In anderen Fällen stoßen die Tiere plötzlich alle Federn ab. Befinden sie sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Freiheit, haben sie gegen Fressfeinde und die Witterung keine Chance. Viele Futtertipps, die man bekommt, stützen sich auf Wissen, dass man vor vielleicht 20 oder 30 Jahren hatte. Hunde- und Katzenfutter, Brot oder Ei, haben in der Ernährung der meisten Vogelarten nichts zu suchen. Über die richtige Erstversorgung und welche Schritte vor Abgabe bei einer Auffangstation nötig sind, klären Wildtiervereine oder -stationen gerne telefonisch auf.
Rachitisches Bein einer Krähe
Durch Mangelerscheinungen kann es aber auch an Schnabel und Beinen zu Problemen kommen. Weiche und dadurch bruchgefährdete und schräge Schnäbel sowie rachitische Beine sind nur wenige Folgen von falscher und/oder einseitiger Ernährung. In vielen Fällen handelt es sich um irreparable Schäden, die eine Auswilderung unmöglich machen. In manchen Fällen ist ein schmerzfreies Leben nicht möglich und eine Euthanasie unumgänglich. Hätte sich der Finder gleich an eine Auffangstation gewandt, hätten diese Fehler verhindert und das Leben des Tieres gerettet werden können.
Vorbereitung auf die Freiheit
Das Anbieten von artgerechtem und möglichst naturnahem Futter erfüllt aber auch noch eine andere Aufgabe. Vögel besitzen zwar angeborene Triebe, dennoch ist es wichtig, dass sie vor der Auswilderung ihr natürliches Futterangebot kennenlernen. Nur so werden sie optimal auf die Freiheit vorbereitet. Wie Insekten gejagt und Körner geknackt werden, müssen die Tiere üben. Dieser Prozess des Lernens benötigt durchaus seine Zeit und ein vorschnelles Auswildern, sobald die Tiere ihr erste eigene Nahrung erbeutet haben, ist nicht zu empfehlen.
Auffangstationen helfen
Aus diesen Gründen ist die Abgabe des Tieres in professionelle Hände so wichtig. Auffangstationen wissen über die speziellen Bedürfnisse der einzelnen Arten bescheid und haben auch am Wochenende das nötige Futterangebot zur Hand. Die verschiedensten Futtermittel, Futterinsekten und Zusätze sind außerdem nicht ganz billig und ihre Beschaffung nicht immer einfach. Wird aus Kostengründen oder aufgrund der fehlende Beschaffungsmöglichkeiten auf einfachere, aber nicht so optimale Varianten zurückgegriffen, leiden die tierischen Findlinge darunter. Jedes Leben ist lebenswert und sollte die gleichen Chance auf ein späteres Leben in Freiheit bekommen.
 Star nach reiner Beoperlenfütterung |  Schäden durch falsche Aufzucht bei einer Nebelkrähe |
| Verbogener Schnabel bei einem Star nach ausschließlicher Fütterung mit Beoperlen | Gefiederschäden durch falsche Aufzucht bei einer Nebelkrähe |
