Tafelnde Gartengäste: Von Sinn und Unsinn der Ganzjahresfütterung

Gerade im urbanen Gebiet mit vielen versiegelten Flächen haben es Wildvögel schwer, im Winter ausreichend Nahrung zu finden. Aus diesem Grund wird in vielen Gärten Vogelfutter als zusätzliche Nahrung angeboten, was von vielen Tier- und Naturschutzorganisationen befürwortet wird. Ein heiß diskutiertes Thema ist jedoch die Ganzjahresfütterung.

Vorteile der Ganzjahresfütterung

 

Betonierte Flächen und Häuserschluchten verkleinern den natürlichen Lebensraum und das Nahrungsangebot vieler Wildvogelarten. Mit dem Einsatz von Herbiziden und Pestiziden ist seit den 60er Jahren die Insektenbiomasse – und damit auch eine Nahrungsquelle für Vögel –  drastisch zurückgegangen. Selbst „Allerweltsvögel“ wie Haussperlinge wurden mittlerweile in die Vorwarnliste bedrohter Arten aufgenommen. Hinzu kommen anthropogene Gefahrenquellen für Alt- und Jungvögel, wie sie durch diverse Stressfaktoren, Hunde und vor allem Freigängerkatzen gegeben sind. Tatsächlich wenden Altvögel ein beträchtliches Maß an Zeit und Energie für die Futtersuche auf, wenn es darum geht, den Nachwuchs zu versorgen. Das Gelege einer Kohlmeise ist etwa so schwer wie die Henne selbst – die 7 Tage alten Nestlinge verschlingen schließlich eine Tagesmenge an Insekten, die dem doppelten bis dreifachen Körpergewicht der Eltern entspricht. Ist die Futtersuche durch ein ungeeignetes Habitat erschwert, sind die Eltern oft zu entkräftet, ihren eigenen Energiebedarf zu decken, wodurch sie nicht mehr in der Lage sind, ihre Jungen zu versorgen. Kohlmeisen etwa, die täglich die Hälfte ihres Körpergewichts an Nahrung zu sich nehmen, können in einer einzigen kalten Nacht bereits 10% ihres Körpergewichts verlieren Diese Faktoren lassen darauf schließen, dass ein zusätzliches Futterangebot im Frühjahr Wildvögeln die Aufzucht der Jungen erleichtert und ihre Überlebenschancen erhöht. Zusätzlich eignet sich die Gartenfütterung hervorragend dazu, Wildtiere zu beobachten und die Beobachtungen auch zu melden, sodass auch Laien einen Beitrag zur Wissenschaft leisten können.

Doch obwohl die positiven Aspekte der Ganzjahresfütterung auf der Hand zu liegen scheinen sprechen sich namhafte Organisationen wie der NABU dagegen aus. Wir möchten im Folgenden auf die Kritikpunkte eingehen und einen objektiven Schluss daraus ziehen.

Die postulierten Schattenseiten 

Futterstellen – kein geeignetes Futter für den Nachwuchs

Ein Gegenargument, das sich sehr hartnäckig hält, ist, dass die Elternvögel durch das menschliche Futterangebot in Versuchung kommen, ihren Nachwuchs nicht etwa mit einer Vielfalt aus heimischen Insekten zu versorgen, sondern ihre Sprösslinge mit der vom Menschen angebotenen Kost füttern. Diese ist für die Altvögel zwar angemessen, eignet sich allerdings nicht für den Nährstoffbedarf der Jungvögel. Die Folgen seien schwere Mangelerscheinungen bei den Jungvögeln, wie Gefiederschäden und deformierte Knochen.
Allerdings kann man sehr gut beobachten, dass die Altvögel sehr wohl in der Lage sind, geeignetes von ungeeignetem Futter zu unterscheiden, sofern ersteres vorhanden ist: Stürzen sich die Eltern auf das vom Menschen angebotene Körnerfutter, um ihren eigenen Energiebedarf zu decken, so füttern sie die Jungen dennoch mit den saftigsten Raupen, die sie finden. Dieser Kritikpunkt ist also in den meisten Fällen nicht haltbar.
Ist wenig oder keine geeignete Nahrung vorhanden, sieht das Ganze natürlich anders aus. Uns wurden schon Amsel-Nestlinge gebracht, die bei lang anhaltender Trockenheit von den Eltern nur mit Gras (statt Insekten) versorgt worden waren.
Zudem neigen manche Vogelarten mehr zu „Opportunismus“ als andere. Wer hat nicht schon Sperlinge und Krähen dabei beobachtet, wie sie ihren Nachwuchs mit Kuchen oder Pommes gefüttert haben. Es gibt also sehr wohl Fälle, in denen Eltern ihren Nachwuchs mit ungeeignetem Futter versorgen.

Abhängigkeiten und Insektenbestand

Eine Wildtierpopulation künstlich durch eine Fütterung hoch zu halten, ist in den meisten Fällen als problematisch anzusehen. Durch eine Fütterung werden Abhängigkeiten geschaffen, die unerfreuliche Konsequenzen nach sich ziehen. So ist es möglich, dass durch Fütterung vom Menschen der Wildvogelbestand unverhältnismäßig höher ist, als das Angebot an natürlich vorkommenden Nahrungsressourcen. Daraus resultiert einerseits eine Bestandsverminderung an heimischen Insekten, die von den Vögeln gefressen werden, und andererseits droht der Wildvogelbestand einzubrechen, sobald die Fütterung durch den Menschen eingestellt wird. So kann ein plötzlicher Umzug fütternder Personen für die Vögel, die regelmäßig zur Futterstelle gekommen sind, ein massives Problem darstellen. Neuen Forschungsergebnissen zufolge ändern Mönchsgrasmücken durch den Klimawandel, aber auch durch Gartenfütterung, ihr Zugverhalten – es gibt zunehmend Mönchsgrasmücken, die mittlerweile im doch recht kalten Großbritannien überwintern. Ob hier Abhängigkeiten bestehen, die fatal enden, sollte die Fütterung ausbleiben, ist aber trotzdem unklar.

Veränderung der Artenzusammensetzung

Nicht vergessen werden darf, dass bei weitem nicht alle Vogelarten tatsächlich von einer Fütterung profitieren. Einerseits gehören ursprünglich klassische Waldvögel, wie Amseln, aber auch Meisen und Sperlinge zu den Gewinnern, was die Eroberung des Stadt-Lebensraums angeht. Andererseits wird man manche Vogelarten, wie Goldhähnchen oder Waldlaubsänger, wohl kaum an einem Futterhaus naschen sehen. Das ist nicht unbedingt negativ zu werten. Allerdings geben Kritiker zu bedenken, dass womöglich die Artenzusammensetzung der Wildvogelpopulation durch eine Fütterung künstlich verändert wird. Eine Neuseeländische Studie kommt etwa zu dem Ergebnis, dass die Gartenfütterung primär zu einer Zunahme nicht-heimischer (körnerfressender) Vogelarten führt. Das wirke sich wiederum auf dort heimische Vogelarten negativ aus. Andere Untersuchungen aus Ländern, die weniger Probleme mit eingeschleppten Tierarten haben, kommen aber zu weniger beunruhigenden Ergebnissen.

Hygiene

Unhygienische Variante: Futter und Kot vermischen sich.

Unhygienische Variante: Futter und Kot vermischen sich.

Wer Wildtiere füttert, läuft Gefahr, die Ausbreitung von Krankheiten und Parasiten zu fördern. Die hygienischen Bedingungen am Futterplatz sind ein nicht zu vernachlässigendes Kapitel. Das Ansteckungspotential mit Krankheiten und Parasiten ist an Fütterungsplätzen enorm hoch. An Futterhäuschen kommen noch dazu Vogelarten zusammen, die sich unter natürlichen Bedingungen nicht so nahe kommen würden. Selbst wenn Hygienemaßnahmen getroffen werden, stellen Verunreinigungen durch Federstaub, Kot und Speichel ein hohes Infektionsrisiko dar. Erkranken die Elternvögel nicht selbst, ist es zumindest wahrscheinlicher, dass diese die Krankheitserreger ins Nest verschleppen, sodass letztendlich die empfindlicheren Jungvögel erkranken.
An dieser Stelle muss aber auch erwähnt werden, dass man bereits bei Haussperlingen festgestellt hat, dass krankheitsbedingte Populationseinbrüche vor allem dort stattfanden, wo weniger gefüttert wurde. Das Füttern fördert also sowohl das Ansteckungspotential, kann aber infizierten Vögeln unter Umständen über schwierige Zeiten helfen.

Mycotoxine im Futter

Viele Vogelarten reagieren besonders empfindlich auf die Toxine der Schimmelpilze Aspergillus und Penicillium. Diese können (insbesondere bei Lagerung unter warmen, feuchten Bedingungen) vermehrt in Erdnüssen und anderen Futtersorten vorkommen. Eine Studie testete 2005 sieben Futterproben aus sieben unterschiedlichen Gärten Englands und kam zu dem Ergebnis, dass alle sieben Proben mit Aflatoxinen verunreinigt waren. Zwei der Proben überschritten die maximal erlaubte Toxinmenge massiv.

Ist eine Ganzjahresfütterung ratsam?

Die Thematik ist zu komplex, um die Frage mit einem einfachen Ja oder Nein zu beantworten. Die Kritik an Ganzjahresfütterung halten wir wohl z.T. für gerechtfertigt, insbesondere, was die hygienischen Bedingungen an Futterplätzen betrifft. Allerdings existieren – zumindest nach unserem Kenntnisstand – manche Kritikpunkte nur in der Theorie. Es gibt oft noch keine Belege, die diese hinreichend (und auf alle Vogelarten und Länder übertragbar) bestätigen. So ist es natürlich möglich, dass eine durch Fütterung erhöhte Wildvogelpopulation (ein Umstand, der an sich schon fragwürdig ist) die heimische Insektenvielfalt beeinflusst. Allerdings ist unklar, wie negativ diese Auswirkungen wirklich sind. Hinzu kommt, dass die Artenvielfalt im urbanen Raum mit ganz anderen, wahrscheinlich wesentlich größeren Problemen zu kämpfen hat: Monokulturen, Pestizide, Verfälschung der heimischen Biodiversität durch eingeschleppte Tier- und Pflanzenarten, die eingangs erwähnte Flächenversiegelung etc. Das sind die Probleme, die man wahrscheinlich als erstes angehen sollte, bevor man den Speiseplan der wenigen Tiere streicht, die davon profitieren.

Die beste Option – ein wildtierfreundlicher Garten

Schlagen Sie nicht den einfachen Weg ein, wenn Sie Wildvögel in Ihrem Garten beobachten möchten. Überlegen Sie zuerst, wie Sie den Lebensraum in Ihrem Rahmen verbessern können. Erst wenn dieser Schritt getan ist, raten wir über eine zusätzliche Fütterung nachzudenken.

Wildtiere nutzen die Zwischenräume loser Ziegelmauern.
Wildtiere nutzen die Zwischenräume loser Ziegelmauern.
  • Recherchieren Sie, welche Pflanzen entweder für die Vögel selbst, oder für deren bevorzugte Insektennahrung essentiell sind. So sind etwa die Eberesche oder das Pfaffenhütchen nicht nur Pflanzen, die in Städten sehr gut gedeihen und auch im Winter hübsch anzusehen sind, sie sind für die meisten Wildvögel auch eine beliebte Nahrungsquelle.
  • Lassen Sie „Unkraut“, wie Brennnessel stehen. Sie sind die Hauptfutterpflanze vieler Raupen. Aus diesen werden nicht nur prächtige Falter, sie sind gleichzeitig eine wichtige Nahrungsquelle vieler Vogelarten zur Jungtiersaison. Auch für den Menschen ist diese unscheinbare Pflanze nützlich: Aus der Brennnessel lässt sich nicht nur ein köstlicher Spinat oder gesunder Tee herstellen, eine selbst hergestellte Brennnesseljauche ist ein ganz hervorragender Stickstoffdünger.
  • Gestalten Sie Ihren Garten möglichst katzensicher und eliminieren Sie andere Gefahrenquellen wie Glasscheiben oder andere spiegelnde Flächen mithilfe von Aufklebern.
  • Beleuchtete Sträucher und Bäume sind für Vögel beim Brutgeschäft ein Störfaktor. Auch viele Fledermausarten mögen es nicht, in blendenden Licht aus ihren Schlafquartieren auszufliegen. Für eine wildtierfreundliche Gartenbeleuchtung eigenen sich Lampen, die ihr Licht nur nach unten abgeben und umweltfreundlich zugleich sind.
  • Besitzer eines Gartenteichs sollten darauf achten, dass hineingefallene Wildtiere problemlos wieder herausklettern können: Gestalten Sie das Ufer also flach oder bieten Sie eine andere Form der Ausstiegshilfe an.
  • Reisighaufen und Steinmauern bieten Lebensraum und Versteckmöglichkeiten für Insekten, aber auch Wirbeltiere wie Amphibien und Reptilien.

Ganzjahresfütterung im Garten

Wenn Sie sich für eine Ganzjahresfütterung entscheiden, behalten Sie bitte im Hinterkopf, dass diese nur Vorteile mit sich bringt, wenn Sie auf ein paar Dinge achten:

Futtersilo aus einer Petflasche - Kot und Futter vermischen sich nicht.
Futtersilo aus einer Petflasche – Kot und Futter vermischen sich nicht.
  • Greifen Sie eher zu Futtersilos als zu den unhygienischeren Futterhäuschen.
  • Säubern Sie Wasserstellen täglich.
  • Reinigen Sie auch den Boden unter dem Futtersilo gründlich und regelmäßig (Umgraben).
  • Die Reinigung von Futterhäuschen etc. sollte zumindest mit heißem Wasser und einer Bürste erfolgen. Die verwendeten Bürsten, etc. müssen regelmäßig ausgetauscht werden.
  • Lassen Sie die gereinigten Utensilien vor einer Wiederverwendung gut durchtrocknen.
  • Bieten Sie mehrere kleine Futterstellen statt einer großen, zentralen Futterstelle an. Oder noch besser: Wechseln Sie den Fütterungsplatz regelmäßig, um die Möglichkeit einer Krankheitsübertragung zu minimieren.
  • Wählen Sie proteinreiches Futter im Frühjahr und fett- und kohlehydratreiches Futter im Winter.
  • Bemerken Sie gehäuft Krankheitsanzeichen bei den Vögeln an Ihrer Futterstelle (etwa aufgeplustertes Gefieder, tagsüber schlafende, inaktive Vögel, Durchfall), stellen Sie die Fütterung bitte unverzüglich ein und reinigen Sie die Futterstelle gründlich. In manchen Fällen ist es angebracht, Futterhäuschen samt zur Reinigung verwendeten Bürsten, etc., komplett zu entsorgen und durch neue Gegenstände zu ersetzen. Unterlassen Sie die Fütterung für einige Wochen, bevor Sie es erneut versuchen.
  • Und schließlich, aus aktuellem Anlass: Bei Ausbruch und Häufung gefährlicher Krankheiten mit hohem Übertragungsrisiko auf Nutzvieh und/oder Mensch (im speziellen Vogelgrippe, etc.) ist die Sinnhaftigkeit einer Wildvogelfütterung stark in Frage zu stellen, zumindest, bis Entwarnung gegeben wird.

Quellen

  • Galbraith J A, Beggs J R, Jones D N, Stanley M C (2015): Supplementary feeding restructures urban bird communities. Proceedings of the National Academy of Sciences 112: E2648–E2657
  • Lawson B, Robinson RA, Toms MP, Risely K, MacDonald S, Cunningham AA (2018): Health hazards to wild birds and risk factors associated with anthropogenic food provisioning. Philosophical Transactions of the Royal Society B: Biological Sciences 373: 20170091. 
  • Plummer K E, Siriwardena G M, Conway G J, Risel, K, Toms M P (2015): Is supplementary feeding in gardens a driver of evolutionary change in a migratory bird species? Glob Change Biol 21: 4353–63
  • Van Balen  J H (1973): A comparative study of the breeding ecology of the Great Tit Parus major in different habitats. Ardea 61: 1-93
  • Van Balen J H (1967): The significance of variations in body weight and wing length in the great tit Parus major. Ardea 55: 1–59