Ein cleverer Vogel
Kaum ein heimischer Vogel präsentiert sich in so vielen unterschiedlichen Farben: grau, schwarz, weiß, braun oder gescheckt. Es handelt sich um eine sehr intelligente Tierart, die komplexe Problemstellungen meistern kann und in der Lage ist, visuell Gesichter und Geschlechter zu unterscheiden: Die Stadttaube!
Etwa 150 000 Tiere leben in Wien. Während sich manche WienerInnen nicht an den Tauben stören, stellen sie für andere ein großes Ärgernis dar. Vor allem die Verunreinigungen durch den Kot erfreuen die Wenigsten. Obwohl Taubenkot keinesfalls ätzend ist (der pH-Wert liegt im leicht sauren Bereich, ähnlich der menschlichen Haut), steht außer Diskussion, dass die Ausscheidungen als störend wahrgenommen werden und Reinigungskosten verursachen.
Überlebenskünstler
Stadttauben finden sich erstaunlich gut zurecht: So finden sie beispielsweise an den unmöglichsten Stellen eine Nistmöglichkeit. Doch für die Tauben ist das Leben in der Stadt nicht einfach. Sie sind Körnerfresser, finden jedoch kaum artgerechtes Futter und ernähren sich stattdessen von dem, was ihnen sonst zur Verfügung steht (Speisereste, Erbrochenes, Zigarettenstummel, uvm.). Die Folgen sind u.a. schlimme Darmentzündungen, an denen die Tiere oftmals ein Leben lang leiden. Erschreckend ist, dass die Stadttaube in guter Haltung (Taubenschläge) bis zu 20 Jahre alt werden kann. In der Stadt lebend hingegen wird sie oft nicht älter als vier Jahre.
Zu hohe Populationsdichten und ein geringes bzw. ungeeignetes Nahrungsangebot schwächen das Immunsystem und fördern dadurch die Übertragung von Parasiten und Krankheiten von Taube zu Taube, selten von Taube zu Mensch (üblicherweise nur bei engen Kontakt mit Tauben, wie das bei Taubenzüchtern beispielsweise der Fall ist).
Manche LeserInnen stellen sich jetzt vielleicht die Frage, warum die Vögel nicht einfach die Stadt verlassen und sich einen anderen Lebensraum suchen: Tauben sind sehr ortstreue Tiere, es liegt in ihrer Natur, an einem ihnen bekannten Ort zu bleiben und sich, wie alle Tiere, fortzupflanzen.
Verwilderte Haustiere
Da Stadttauben im wesentlichen verwilderte Haustiere sind (aus der Taubenzucht), ist das Problem leider hausgemacht. So ist es das Bestreben der Wildtierhilfe Wien einen verantwortungsbewussten Umgang mit den für den Menschen schwerwiegenden Konsequenzen zu hegen. Wir möchten uns um eine tierschutzkonforme Reduktion der Taubenpopulation in Wien bemühen und die Lebensbedingungen so wie den Gesundheitszustand jener, die es bereits gibt, verbessern.
Der Taubenschlag – eine Win Win Situation
Ein Taubenschlag ist eine offene Unterbringung, in welcher Stadttauben Schutz vor Witterungseinflüssen, so wie unter Einhaltung strenger Hygienemaßnahmen (die Tauben sollen immerhin gesund bleiben) täglich frisches Wasser, artgerechtes Futter und Nistmöglichkeiten angeboten bekommen. Das Ziel ist, den Schlag so attraktiv zu gestalten, dass sich im Laufe der Zeit immer mehr Tauben dort ansiedeln und brüten. Die Eier werden gegen Attrappen ausgetauscht, sodass auf schonendem Wege eine Reduktion der Population stattfindet. Die Ausscheidungen bleiben dann zum Großteil innerhalb des Schlags, welcher regelmäßig gründlich gereinigt wird. Parallel dazu müssen natürlich Brutplätze außerhalb des Schlages unzugänglich gemacht werden.
Zusammenarbeit mit der Tierschutzombudsstelle Wien
Die Tierschutzombudsstelle Wien und die Stadt Wien bemühten sich bereits um eine solche Lösung! So existiert im Amtshaus in Meidling ein Taubenschlag, der Unterkunft für 300 bis 400 Tauben bietet. Seit 01.07.2014 betreut die Wildtierhilfe Wien gemeinsam mit der Tierschutzombudsstelle den Taubenschlag. Fünf Mal wöchentlich wird der Schlag betreut, und einmal in der Woche von einer Reinigungsfirma gesäubert. Während der Reinigung befinden sich die Tiere nicht im Schlag, denn sobald die Tür aufgeschlossen wird, suchen sie das Weite und kommen erst wieder zurück, wenn ihre Residenz frisch und sauber ist. Jede Aktivität wird genau protokolliert. Auch der Gesundheitszustand der Tauben im Taubenschlag kann im Auge behalten werden.
Derzeit wohnen zwischen 50 und 60 Tiere im Schlag, Tendenz steigend. Etwa 400 Eier konnten seit Eröffnung des Taubenschlags ausgetauscht werden. Durch Optimierungen soll die Zahl der gefiederten Bewohner natürlich erhöht werden, denn die Kapazität liegt bei 300 bis 400 Tauben. Würde man alle 150 000 Tauben in Wien in einem Taubenschlag unterbringen wollen, müssten etwa 375 Taubenschläge gebaut, finanziert und betreut werden. Selbstverständlich ist dies nur schwer umzusetzen. Dennoch können punktuell “Hot Spots” entschärft und die Situation vor Ort verbessert werden. Gleichzeitig nimmt die Reduzierung natürlicher Brutplätze in der Stadt (speziell in näherer Umgebung eines Schlags) eine wichtige Rolle bei der tierschutzgerechten Reduktion der Taubenpopulation ein.
Ein langer Weg steht bevor, doch wir sind sehr optimistisch. Wir sehen den Meidlinger Taubenschlag als einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung und möchten uns ganz herzlich bei der Tierschutzombudsstelle Wien für die bisherige konstruktive Zusammenarbeit bedanken!
Quelle:
Technische Universität Darmstadt, Institut für Massivbau, Prüfungsbericht Nr. 195.04 vom 26.08.2004: Einfluss von Taubenkot auf die Oberfläche von Baustoffen.