Ein menschengemachtes Problem
Müll in den Meeren und Mikroplastik sind heutzutage bekannte menschengemachte Umweltprobleme. Doch man muss nicht weit in die Ferne schauen. Die Folgen menschlicher Abfälle lassen sich vor der eigenen Haustür beobachten: verschnürte Taubenfüße.
Weitreichende Folgen
Stadttauben sind Tiere, die sich häufig zur Futtersuche am Boden aufhalten. Dabei laufen sie, mehr als andere Arten, auch auf Asphalt oder Beton direkt im Stadtgebiet. Daher kommt es leider häufig dazu, dass sich Taubenfüße in menschlichen Abfällen wie Haare, Wollfäden oder reißfesten Nylonschnüren verheddern. Je länger eine Verschnürung besteht, desto schlimmer die Auswirkungen: Die Fäden wachsen ein, Entzündungen, schmerzhafte Fehlstellungen bis hin zum Verlust einer Zehe sind die Folgen. Sind bereits mehrere Zehen auf diese Weise abgestorben, ist das betroffene Tier so stark eingeschränkt, dass dies sogar zum Tod führen kann.
Eine schnell erledigte Befreiungsaktion?
Wir sehen immer wieder, dass wohlmeinende TierschützerInnen verschnürte Taubenfüße von Nylonfäden befreien. Taubenfreunde fangen hierbei das betroffene Tier, entfernen mit einer Schere die Schnur und lassen die Taube im Anschluss wieder frei. In diesem Beitrag wollen wir verdeutlichen, wie lang es tatsächlich sehr häufig dauert, bis die Füße wieder schön und benutzbar sind. Wir wollen verdeutlichen, warum meist eine längere Pflege notwendig ist.
Langwierige Pflege
- Die Schnüre sind sehr häufig tief in die Haut eingewachsen. Diese zu entfernen ist nicht nur schmerzhaft, sondern hinterlässt auch eine offene Wunde, die sich infizieren kann. Doch mit Desinfektion und zwei Tage eincremen ist so eine Angelegenheit meistens noch lang nicht erledigt.
- Denn die Schnüre sind meistens so um die Zehen gewickelt, dass über lange Zeit eine Fehlhaltung besteht. Entfernt man die Schnüre, handelt es sich oft nach wie vor um einen Fuß, der nicht ordentlich beweglich ist. Die Tiere können nicht greifen oder laufen mit einem zur Faust geballten Fuß. Oft sind mühsame Streckverbände notwendig, um die Zehen wieder in ihre ursprüngliche, natürliche Stellung zu bringen.
- Auch ein nicht verschnürter Fuß ist selten gesund, wenn der andere lang verschnürt war. Es entwickelt sich eine sog. Pododermatitis (Entzündungsreaktion mit starken Schwellungen) durch die Fehlbelastung, also die Gewichtsverlagerung auf das gesunde Bein. Häufiges Eincremen ist notwendig, um die Durchblutung zu fördern und die Haut wieder weich zu machen.
- Auch die Gelenke schwellen oftmals an, da betroffene Tiere das Gewicht gern auf die gesunde Seite verlagern.
- Leider müssen einzelne Zehen häufig gänzlich entfernt werden. Erstens, weil sich Nekrosen im schlimmsten Fall weiter ausbreiten können, sodass noch mehr Knochen abstirbt. Zweitens ist jede Zehe, die nicht benutzt werden kann, im Weg. Es passiert durch die unnatürliche Stellung leichter, dass diese aufgeschürft oder anderweitig verletzt wird. Sie kann die Taube aber auch beim Gehen behindern.
Stressbedingte Krankheiten
Je nachdem, wie viele und welche Zehen bereits fehlen, kann das sogar ein Grund zur Euthanasie sein. Ein Vogel, der nicht greifen und sich festhalten kann, hat wenig Überlebenschancen. Auf jeden Fall hat ein betroffenes Tier durch die Fehlbelastung früher oder später Schmerzen. Solche Tauben kommen häufig ursprünglich wegen anderer Probleme zu uns, obwohl eigentlich die Beine bzw. Füße das Hauptproblem darstellen. Kokzidien, Hefen, baktierielle Infektionen, … Alles davon ist häufig stressbedingt. Natürlich ist es schwer, das zu beweisen, aber es spricht vieles dafür.
Verschnürte Taubenfüße – ein Euthanasiegrund?
Wie stark können die Einschränkungen und die damit verbundenen Schmerzen durch verschnürte Taubenfüße tatsächlich sein? Das haben wir bereits selbst mit austherapierten Tieren (also ohne zusätzliche Erkrankungen oder verbliebenen Schnüren) in unseren Volieren beobachtet. Denn Euthanasie geschieht niemals leichtfertig. Gerade in Grenzfällen, wo es Unsicherheiten gibt, sind lange Teambesprechungen gemeinsam mit einem Tierarzt notwendig. Wir beobachten die Tiere umfangreich, bis wir schließlich zusammen eine sichere Entscheidung treffen.
Es stellte sich schnell heraus, dass Tauben keineswegs mit Stummelfüßen, geschweigedenn mit nur einem Bein zurecht kommen. Sie haben sogar Probleme, beim Fliegen loszustarten. Oftmals sind sie etwas inaktiver und kommen in der Gruppe nicht ganz so gut zurecht. Das liegt daran, dass sie zu ungeschickt sind, um mit Artgenossen normal zu interagieren. Daher nehmen sie am Geschehen oftmals nicht so gern teil. Sie rutschen von Ästen ab und verlieren z.T. sogar an Gewicht. Das volle Ausmaß dieses Verhaltens zeigen Tauben vor allem dann, wenn Schmerzmittel abgesetzt werden. Es fällt aber vor allem in ruhigen Momenten auf. Dann fühlen sich betroffene Pfleglinge unbeobachtet und versuchen nicht aufgrund von Stress ihre Einschränkung zu verbergen. Sie plustern, schütteln sich, liegen häufiger (anstatt unbequem zu stehen) und machen deutlich, dass es ihnen schlecht geht.
In Extremfällen, nämlich dann, wenn ein Fuß gar nicht mehr vorhanden oder funktionsfähig ist oder beide Füße nur noch erheblich eingeschränkt nutzbar sind, erachten wir eine Euthanasie oftmals als sinnvoll.
Diese Taube wurde von 9.3. bis 31.3. nur (!) aufgrund ihrer Füße behandelt. Eine Zehe musste entfernt werden. Eine andere Taube nach der Behandlung. Auch sie konnte nach erfolgreicher Pflege ausgewildert werden.
Hilfe oder Tierquälerei?
Das Einfangen von Tauben durch Privatpersonen, die Nylonschnüre entfernen und die Tiere im Anschluss frei lassen, ist mehr als nur falsch verstandene Tierliebe. Das Bundestierschutzgesetz verbietet es, Tieren Leid oder gar Schmerzen zuzufügen. Jeder, der ein Tier fängt, muss das gut begründen können. Die Tiere haben dabei wahnsinnige Angst. Der Stress durch das Einfangen und Handling ergänzt die Schmerzen beim Entfernen von eingewachsenen Fäden. Das Entschnüren allein bringt jedoch keinerlei gesundheitliche Verbesserung, sondern sogar ein erhöhtes Infektionsrisiko. Per Definition handelt es sich bei einem solchen „Experiment“ ohne tierärztliche Unterstützung um Tierquälerei.
Wildtierpflege: ganz oder gar nicht
Wir vertreten in der Regel bei der Wildtierpflege die Ansicht: ganz oder gar nicht. Entweder lässt man der Natur ihren freien Lauf oder man hilft einem Tier. Dann sollte aber jede mögliche Therapiemaßnahme wahrgenommen werden, um den Pflegling vollständig auskuriert, schmerzfrei und ohne Einschränkungen auswildern zu können. Schmerztherapie, Wundversorgung, häufige Verbandswechsel und Behandlungen mit Salben: Verschnürte Taubenfüße sind aufwändig und nur mit tierärztlicher Unterstützung zu behandeln.