Allgemeine Information für TierärztInnen

Als Tierarzt und Tierärztin ist man oft Ansprechpartner für Menschen, die ein hilfsbedürftiges Wildtier gefunden haben. Die große Anzahl verschiedenster wildlebender Säugetiere und Vögel, die sich in Aufzucht, medizinischer Behandlung und Unterbringung sehr stark von Heimtieren unterscheiden, stellen für VeterinärmedizinerInnen eine große Herausforderung dar. Auch die Frage der Finanzierung ist, gerade bei aufwendiger Diagnostik und langfristiger Therapie, stets ein Thema.

Die Wildtierhilfe Wien bietet eine zentrale Anlaufstelle für Hilfestellung aller Art sowie Auskunft über Fragen zu Wildtierfindlingen. Soweit es die Kapazitäten erlauben, werden auch gerne Wildtiere zur weiteren Aufzucht und Pflege übernommen.

Zustand kranker Wildtiere richtig einschätzen

verletzte Schwanzflughaut einer Fledermaus

Eine übersehene Wunde an der Schwanzflughaut

Die richtige Erstversorgung ist oft sehr entscheidend für die weitere Diagnose der Findlinge. Oftmals werfen TierärztInnen nur einen zögerlichen Blick auf die Wildtiere, um die Stressbelastung möglichst gering zu halten. Obwohl dies ein löbliches Motiv ist, werden auf diese Weise allerdings viele schwere Verletzungen übersehen. Es empfiehlt sich, das Wildtier stets auf Wunden, eventuelle Brüche, Ausflüsse und Madenbefall hin zu untersuchen. Ein einfaches Hochnehmen der Tiere lässt oft schon gut auf den Allgemeinzustand schließen. So sind kranke und verletzte Tiere häufig sehr „weich“ – ihre Körperspannung fehlt völlig. Geschlossene oder eigefallene Augen sind immer ein schlechtes Zeichen.

Vergessen Sie nicht: Das Wildtier befindet sich in einem Ausnahmezustand und sollte in höchster Alarmbereitschaft sein. Ist das Tier nicht wehrhaft, schläft und lässt Untersuchungen über sich ergehen, so muss von einem Krankheitszustand ausgegangen werden.

Die richtigen Medikamente

Hierbei muss beachtet werden, dass viele Wildtiere die für Heimtiere üblichen Medikamenten-Wirkstoffe nicht vertragen oder in einer gänzlich anderen Dosierung benötigen. Vor allem der Umgang mit Antiparasitika muss sehr vorsichtig und mit Nachsicht geschehen. So können manche Antiparasitika bei geschwächten Tieren zum Tod führen, während selbige Produkte beispielsweise gut von Katzenwelpen vertragen werden. Gegen Außenparasiten genügt oftmals ein händisches Absammeln oder Abbürsten. Die meisten Wildtiere kommen mit leichtem bis mittlerem Ektoparasitenbefall gut zurecht. Entoparasiten sollten nur nach eindeutiger Diagnose und nicht auf Verdacht behandelt werden. Die Zugabe von Antibiotika ist bei schweren, eiternden Wunden natürlich wichtig, aber auch wenn der Finder einen Katzen- oder Hundekontakt anmerkt, sollte stets überlegt werden, ob die Antibiotika-Gabe sinnvoll ist. Unter dem Feder- und Stachelkleid oder dem dichten Fell, sind kleinste Wunden nur schwer sichtbar und werden leicht übersehen. Bei Erregern, die von Katzen und Hunden übertragen werden, kann dies dann innerhalb von 24 Stunden tödlich enden.

Informieren Sie sich stets in der Fachliteratur über die Dosierungsangaben und Verträglichkeiten eines bestimmten Produktes für die jeweilige Wildtierart und gehen Sie bitte nicht von derselben Dosierung und Verträglichkeit bei Haustieren aus.

Überlebenschancen

Selbst bei schwerwiegenden Verletzungen sind wilde Säuger und Vögel sehr zäh. Bei richtiger Behandlung und genügend langer Rehabilitationszeit können auch diese Tiere wieder genesen. Selbst bei großflächigen Wunden, die nicht genäht werden können, offenen Frakturen oder wenn ein Tier bereits kalt und in Seitenlage gefunden wird, besteht noch Hoffnung auf eine Genesung und spätere Auswilderung. Hierbei sollte keine voreilige und frühzeitige Entscheidung für eine Euthanasie getroffen werden.

Riss in Flughaut

Vorher: Riss in der Flughaut einer Myotis-Art, verursacht durch einen Angelhaken. Dank geht an batrescue.org für das Foto!

Flughaut Riss

Nachher: Riss im Flügel nach 10 Monaten Heilung. Die Fledermaus konnte wieder freigelassen werden. Dank geht an batrescue.org für das Foto!

Schwierige Handhabung

Bereits der Umgang mit Wildtieren kann zur Herausforderung werden. Igel, die sich nicht entrollen wollen, hektische Fledermäuse und seltene Vogelarten sind oft schwierig bei der Handhabung. Die Beurteilung des arttypischen Verhaltens und der physiologischen Eigenheiten oder die Bestimmung eines noch nackten Vogelkükens bzw. eines sehr jungen Säugers sind bei fehlender Erfahrung Faktoren, die nicht immer einfach einzuschätzen sind. Die richtige Bestimmung und Einschätzung ist jedoch sehr entscheidend für die weitere Handhabe und letztlich die Überlebenschance des Patienten. Nicht jede/r TierärztIn muss ein Spezialist auf allen Gebieten sein und gerade im Praxisalltag ist selten genügend Zeit für die intensive Betreuung und Pflege solcher Findlinge.
Im Zweifelsfall kann deshalb stets die Wildtierhilfe Wien kontaktiert werden, um gemeinsam die Situation einschätzen zu können. Das Team der Wildtierhilfe Wien besteht aus Biologinnen, Tierärztinnen mit Wildtiererfahrung sowie erfahrenen Studenten aus beiden Bereichen, die auf viele erfolgreiche Fälle zurückblicken können und gerne mit Rat und Tat beistehen bzw. gerne die weitere Behandlung und Therapie der Tiere übernehmen.

Korrekte Beratung

Gerade in der Jungtieraufzucht kursieren leider noch immer veraltete Methoden. Tipps wie das Füttern von Hundefutter oder Faschiertem an Jungvögel enden mit schweren Gefiederschäden oder Tod durch Darmentzündung. Die oft empfohlenen Beoperlen können zwar für einige Vogelarten als zusätzliches Nahrungsangebot verwendet werden, stellen aber keine Alleinnahrung dar und werden gerade von Insektenfressern nicht gut vertragen. Die immer noch oft propagierte Methode, Fledermäuse oder Mauersegler in die Luft zu werfen, um sie auf diese Weise zum Fliegen zu animieren, endet nicht selten mit schweren Verletzungen. Informieren Sie sich stets bei fachkundigen Stellen um so selbst kompetent Auskunft geben zu können.

Erste Maßnahmen richtig setzen

Kommt ein geschwächtes und unterkühltes Wildtier in die Praxis, sollte dieses zuerst langsam aufgewärmt werden. Ist das Tier wieder warm, kann eine Glucose-Lösung oral verabreicht werden. Hierbei sollte verhindert werden, dass sich das Tier verschluckt und Flüssigkeit aspiriert. Auf Kuhmilch, Brot, Hundefutter, oder Gemüsebrei sollte gänzlich verzichtet werden. Anschließend sollte das Tier ruhen können, um sich vom ersten Schock zu erholen. Erst dann sollte das Tier auf Verletzungen untersucht und entsprechend versorgt werden.

Wer benötigt Hilfe?

Ein großes Problem stellen unnötig mitgenommene Wildtiere dar.
Ein adultes Tier, das sich einfangen lässt, braucht selbstverständlich Hilfe. Auch Nachtaktive Tiere (Bilche, Igel, Fledermäuse), die am Tag gefunden werden, benötigen Hilfe und Fledermäuse, Mauersegler oder Schwalben, die am Boden aufgefunden werden, sollten geborgen werden.
Vogel-Nestlinge, also nackte bis leicht befiederte Küken, die im Nest bleiben sollten, können, sofern sie unverletzt sind, wieder in das Nest gehoben werden. Ist das nicht möglich oder kann das Nest nicht gefunden werden, sollte es aufgenommen werden. Die Eltern versorgen Nestlinge nicht vom Boden aus und können sie selbst nicht ins Nest zurück tragen. Vogel Ästlinge (bereits befiederte Jungvögel), die aufmerksam und sperrend die letzten Tage vor dem Flüggewerden am Boden verbringen, werden weiterhin von ihren Eltern versorgt und sollten in Ruhe gelassen werden. Befindet sich ein solcher Vogel in einer gefährlichen Umgebung, so kann er vorsichtig bis zu rund 10 Meter vom Fundort in einem Gebüsch abgesetzt werden, denn Vögel stören sich nicht am menschlichen Geruch.
Jungtiere von Säugern benötigen immer dann Hilfe, wenn sie an einem gefährlichen Ort am Boden gefunden werden (bei Hundewiesen, Kinderspielplätzen oder Orten mit freigängigen Katzen). Kalte, regungslose, apathische und verletzte Jungtieren sollten ebenfalls aufgenommen werden. Junge Säuger, wie beispielsweise Eichhörnchen oder Siebenschläfer, versuchen häufig, sich einem Menschen anzuschließen. Laufen solche Tiere einem Menschen daher nach oder versuchen überhaupt an diesem hochzuklettern, so sollte dieses Tier ebenfalls mitgenommen werden.
Ausnahmen stellen Feldhasen (aber nicht Wildkaninchen) und Rehkitze dar. Feldhasen-Jungtiere, die bereits ab Februar von aufmerksamen Spaziergängern am Wegesrand gesichtet werden können, sollten hingegen in ihrer Mulde belassen werden. Die Feldhasenmutter besucht nur ein- bis zweimal täglich ihre Jungen um diese zu versorgen. Die restliche Zeit sind die Tiere auf sich alleine gestellt und brauchen keine menschliche Hilfe. Werden Hasenjunge aber von Hunden oder Katzen aufgestöbert und angeschleppt, so benötigen diese anschließend Hilfe – die Mutter nimmt sie nicht mehr an. Auch Rehkitze werden von der Mutter an einem Ort belassen und mehrmals am Tag versorgt.

Verantwortungsbewusst handeln

Viele Wildtierfinder wollen ihre Schützlinge gerne selbst aufziehen, obwohl sie nicht über das nötige Fachwissen verfügen und erhoffen sich von ihren TierärztInnen vor allem moralischen Beistand. In solchen Situationen sollten TierärztInnen ihrer Verantwortung gerecht werden und von einer selbstständigen Aufzucht abraten. Neben fehlender Fachkenntnis über Ernährung, Verhalten und Auswilderung stellt die mangelnde Sozialisierung sowie die Fehlprägung auf den Menschen ein massives Problem dar. Unzählige Krähen kommen nach einer falschen Aufzucht mit schweren Gefieder und Knochenschäden sowie einem aggressiven Verhalten dem Menschen gegenüber in die Hand von Wildtiervereinen, da die Finder sich nicht mehr zu helfen wissen. Solche Tiere können im Regelfall nicht mehr ausgewildert werden, in schweren Fällen bleibt oft nur noch die Euthanasie als letzter Ausweg. Aber auch bei anderen Vogelarten oder Säugetieren stellt die Aufzucht durch Laien ohne fachkundige Anleitung ein Problem dar.

Schützen Sie sich selbst

Vergessen Sie nie: Ein Wildtier, das sich in Lebensgefahr wähnt, wird auch in größter Not versuchen zu beißen. Denken Sie stets daran sich entsprechend zu schützen.

„Das ist die Natur“ – Hilfe überhaupt notwendig?

Der überwiegende Teil der Wildtiere, die in Not geraten und von Menschen gefunden werden, kam durch den menschlichen Eingriff zu Schaden. Oft sind es Nistplätze, die durch das Schneiden von Hecken oder Kürzen von Bäumen zerstört werden. Nicht selten kommt es vor, dass Fledermäuse auf Grund an Mangel natürlicher Quartiere auf künstliche Quartiere, wie beispielsweise Fensterläden, ausweichen und dann durch das Öffnen dieser schwer verletzt werden. Auch mit dem Rad oder Auto angefahrene Tiere verunfallen letztlich durch den Menschen. Eben weil sich unsere moderne Gesellschaft so zügig entwickelt, ist es den Wildtieren oft nicht möglich, auf natürliche Weise Schritt zu halten. Das Ergebnis ist eine stetig wachsende „Rote Liste“. Daher ist die Mithilfe der Tierärzte von großer Bedeutung, um zu schützen, was geschützt werden kann.